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Peer Gynt – Theater im Großstadtformat bei der Studiobühne Bayreuth

Szenenfoto - Ensemble Studiobühne Bayreuth - Peer Gynt Fotograf: Thomas Eberlein, Studiobühne Bayreuth

Stelle dir vor, in der Mitte deines Lebens begegnest du deinem eigenen Ich in der Gestalt vom Ende deines Lebens. Wie geht diese Begegnung von statten? Was bedeutet es das eigene Ich zu sein? Wie komme ich zum eigenen ich? Und weiter: Die Figur am Ende des Lebens hat nicht mehr viele Chancen, etwas zu ändern. Das ist der Ausgangspunkt, wie der Regisseur Julius Theodor Semmelmann das Stück Peer Gynt in seiner eigenen Bearbeitung anlegt. Denn zu Anfang des Stückes vor der Pause gibt es einen jungen unbeschwerten Peer Gynt (lebendig und gemein, Valentin Lotze). Er macht Frauen Versprechungen, zeugt ein Kind, verpatzt dabei seine Hochzeit und verliebt sich in eine andere Frau. Diese speist er mit Versprechungen ab und lässt Solveig (liebend, romantisch, Vanessa Kinne) sitzen. Sie aber liebt ihn und verspricht, auf ihn zu warten. Das wird sie bis an ihr Lebensende machen. Ihre drei Motive sind Glaube, Liebe, Hoffnung. Seinem eigenen Dickkopf folgend gerät er in die Fänge von Trollen. Natürlich hat er sich in die Tochter des Königs der Trolle verliebt. Hier fängt eine schaurig-schöne Reise an. Als König der Trolle, wie in weiteren Rollen) glänzt Uwe Hoppe. Wie er schmeichelt, wie er droht, wie er hinterlistig spricht. All das wird von der Arbeit seiner Hände und Finger grandios unterstützt. Dieser ganze Reigen endet in einem Tumult, dem Peer Gynt nur schwer entkommen kann. Vor der Pause stirbt Peer’s Mutter (aufopfernd und unglücklich Annette Zeus) in einer dramatischen Szene. Nein, nicht dramatisch, sondern sehr still und bedrückend. Diese Bedrücktheit zieht die Zuschauer in die Pause. Eine Stille der Ratlosigkeit, die die Zuschauer zurücklässt. Minutenlanges Schweigen.

Szenenfoto – Ensemble Studiobühne Bayreuth – Peer Gynt Fotograf: Thomas Eberlein, Studiobühne Bayreuth

Doch nach der Pause ändert sich alles. Peer Gynt wird zum erfolgreichen Geschäftsmann, natürlich nicht ohne einige kleine Verbrechen zu begehen. So ist von Ausbeutung, Götzenbildern und Sklaverei die Rede. Auch hier glänzt neben der Titelrolle von Peer Gynt im zweiten Lebensalter (refeflekiert und nachdenklich, Martin Kelz) durch seine Mimik und Gestik ein Uwe Hoppe, der einen amerikanischen Geschäftsmann (süffisant begleitet von Fynn Hottung und Christof Neuner) spielt. Allerdings wäre ein einzelner guter Schauspieler auf einer Bühne in einem Ensemble von 11 Darstellern verloren. Nach dem guten alten Motto von Keith Johnston macht er seine Spielpartner zu Stars und diese glänzen dann auch aus eigener Ausstrahlung. Das ist, was ein stimmiges Ensemble ausmacht.

Szenenfoto – Ensemble Studiobühne Bayreuth – Peer Gynt Fotograf: Thomas Eberlein, Studiobühne Bayreuth

Der alternde und bald sterbende Peer Gynt (mit starker Ausstrahlung Wolfram Ster) begegnet am Ende seines Lebensweges noch einmal den Figuren seiner Vergangenheit. So wird dargestellte Selbstreflexion möglich. Er hat sie enttäuscht, er hat sie betrogen. Er hat sie verlassen.
Und genau hier stellt sich die Frage: Was ist mein eigenes ich? Wie komme ich zu meinem eigenen Ich? Nicht nur der alternde oder der im mittleren Alter, sondern auch der Junge Peer Gynt geben sich gegenseitig zu verstehen: Jetzt ist es zu Ende. Der Appell an die Zuschauer kann vielleicht lauten: Lebt euer Leben und versucht, euer eigenes Ich zu werden. Im Gesamten eine großartige schauspielerische Leistung des Ensembles. Der Regisseur geht hier ans Eingemachte, holt tolle Theatermomente heraus und verbindet sie mit eindrucksvollen Kostümen zu einer Art des modernen Theaters, das man in Bayreuth so oft nicht in dieser Qualität gesehen hat.

Text: Joachim Skambraks, Die Stimme Bayerns – Chefredaktion
Fotograf: Thomas Eberlein, Studiobühne Bayreuth

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